English summary
Als ich online die WGA-Datenbank entdeckte, war ich verwundert angesichts meines ersten Suchergebnisses: Dr. Ernst Picard gegen des Deutsche Reich, Geschädigte Eugenie Picard, Gegenstand Briefmarkensammlung. Das Bild einer vornehmen alten Dame, die mit Pinzette und Lupe bewaffnet über ein Briefmarkenalbum gebeugt ist, stimmt überhaupt nicht. Das Sammeln von Briefmarken ist doch kein Hobby für Frauen!
Als ich endlich die Akte B Rep. 025-08 Nr. 16497/59, deren erste Seite mit dem Eingangsstempel vom 10. März 1959 versehen ist, in den Händen hatte, stellte sich heraus, dass ich recht hatte. In der "Anmeldung von rückerstattungsrechtlichen Geldansprüchen gegen das Deutsche Reich", die die Brüder Ernst und Hugo Picard als Erben von Eugenie Picard einreichten, geht um eine wertvolle Briefmarkensammlung, die sich zwar im Umzugsgut der Mutter befand, die aber einst vom Schwiegervater Ludwig Russ an Ernst Picard übergeben worden war.
In einer eidesstattliche Erklärung beschreiben Ernst und Edit Picard, geborene Ruß, die Sammlung:
"Der Vater von Ludwig Russ war Begründer der Bankfirma A. Russ jr., die in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gegründet war und deren Geschäft zuerst am Molkenmarkt, dann ,Unter den Linden' war. Diese Bankfirma stand in regem Geschäftsverkehr mit Privaten und Behörden, und die Markensammlung bestand zum großen Teil aus den vom Schwiegervater und dessen Vater gesammelten Marken: Alt Deutschland und Kolonien, Bergedorf, Turn(!) und Taxis, Baden, Württemberg, Bayern, Helgoland, aber auch sonstigem Europa und Übersee. Da die Marken zum Teil aus der ersten Zeit kurz nach Einführung der Briefmarken überhaupt herstammten, war die Sammlung sehr wertvoll. Der angegebene geschätzte Wert von RM 5000,- bezog sich auf den Wert bei unserer Auswanderung. Wir sind überzeugt, dass der heutige Wert weit höher ist.
Zur Zeit unserer Auswanderung war bereits die Verbringung wertvoller Markensammlungen ins Ausland verboten. Wir haben sie deshalb zur Firma Bracht und Rothenstein gebracht, wo die Einrichtung der inzwischen verstorbenen Mutter des unterzeichneten Ehemannes lagerte. Als diese im Jahre 1937 auswanderte, blieb die Markensammlung im Depot der Firma Bracht und Rothenstein, die eine jüdische Firma war. Was aus der Sammlung geworden ist, wissen wir nicht."
Im Rahmen des Verfahrens, das sich bis 1967 hinzog stellte sich heraus, dass die Geschäftsunterlagen der Firma während der "Kampfhandlungen in Berlin größtenteils verlorengegangen und der Rest … nach Ablauf der 10-jährigen Aufbewahrungsfrist vernichtet" wurde (Mitteilung der Nachfolgefirma Harry W. Hamacher). Erhalten ist lediglich ein Schreiben der Firma Brasch und Rothenstein an Ernst Picard vom 15. Juli 1937 nach Tel Aviv:
"Wir bestätigen Ihre w. Zeilen vom 23. Juni und 8. Juli und teilen Ihnen … mit, dass wir von Ihrer Frau Mutter bisher noch keinen Auftrag zur Expedition des Umzugsgutes nach Kreuzlingen/Schweiz, erhalten haben.
Sofern ein solcher Auftrag vorliegt, muss vorher der Lagerschein in unseren Händen sein und die Unbedenklichkeitsbescheinigungen vom Finanzamt und Bezirksbürgermeisteramt. Ausserdem müssen sämtliche Spesen vorher bezahlt sein.
An rückständigen Lagerspesen sind noch RM 212,10 zu zahlen, wovon Ihre Frau Mutter unterrichtet ist.
Ferner wären dann noch die notwendigen Ausfuhrpapiere zu unterzeichnen (eidesstattliche Devisenversicherung, Statistischer-Schein, Export-Valutaerklärung), die wir Ihrer Frau Mutter zur Verfügung stellen werden.
Die Transportrechnung, ausgestellt auf Ihre Frau Mutter, werden wir dann Ihren Instruktionen gemäss dem Bankhaus Mendelsohn & Co. zuschicken, damit der Betrag bei der Devisenstelle beantragt werden kann.
Wir hatten übrigens heute schon einen Anruf vom Bankhaus Mendelsohn & Co., dem wir mitgeteilt haben, dass wir die Rechnung einreichen werden, sobald der Auftrag und die notwendigen Papiere vorliegen.
Bezüglich der Markensammlung müssen wir auch von Ihrer Frau Mutter noch einen schriftlichen Auftrag bekommen unter Angabe, in welchem Behälter sich diese befindet."
Die Wiedergutmachungsbehörde stellt 1967 fest:
"Nach dem glaubhaften Vorbringer der Antragstellerin ist die Sammlung weder bei dem Geschädigten noch bei seiner Mutter angekommen. Insoweit bleibt nur die Möglichkeit offen, dass die Briefmarkensammlung auf dem Wege vom Absender zum Empfänger abhanden gekommen ist, ohne dass nähere Einzelheiten über die Umstände des Verlustes festgestellt werden können. Bei dieser Sachlage ist nach den Regeln des Beweises des ersten Anscheins auszuschließen, dass die Briefmarkensammlung von einem der in § 1 BRÜG genannten Rechtsträgern entzogen worden ist, da im Zeitpunkt der in Betracht zu ziehenden Absendung (1937/1938) keine Hinderungsgründe für die Mitnahme oder Versendung von Briefmarkensammlungen bestanden haben...
Da weitere Aufklärungsmöglichkeiten nicht bestehen, war der Anspruch abzuweisen..."
Diesen Beschluß erhält Edit Picard, geborene Ruß, als Erbin ihres Ehemannes Ernst. Dieser war im Jahr der Antragstellung gestorben. Der Mitkläger Hugo Picard hatte schon Jahre vorher erklärt, dass er keine Ansprüche mehr geltend macht.
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